Lots Weib.

Humoreske von Teo von Torn.
in: „Neues Wiener Journal, Humoristische Beilage” Heft 42/1899, S.10
in: „De Kunst” (jrg 3, 1910, no 182, 22-07-1911)(= Lot's Vrouw)


Die kleine Frau Palitz entledigte sich ihrer Handschuhe und deponirte sie, energischer als man das sonst wohl thut, auf den Tisch des Hauses. Dann nestelte sie ihr Reisehütchen von dem etwas derangirten Blondhaar, ordnete letzteres flüchtig und nervös vor dem Spiegel und setzte sich dann — mit einem „hörbaren Ruck” gewissermaßen — ihrem Gatten gegenüber. Sie hatte sich nicht einmal so viel Zeit gegeben, auch den Mantel abzulegen. Die Hände im Schooß gekreuzt, saß sie kerzengerade da, ihre geknickte und viel, o, so viel schlechtere Hälfte erwartungsvoll anblickend:

„Da bin ich also!”

Herr Palitz räusperte sich, fuhr mit der Fingerspitze an der inneren Seite seines Hemdkragens — Modell Prinz Heinrich — entlang und beeilte sich zu erwidern:

„Und ich bin entzückt davon, mein liebes Mariechen. Mit dem Strohwittwerthum ist es —”

Er unterbrach sich, in dem unklaren Gefühl, die Sache mit solchen Redensarten blos zu verschlimmern. Wenn er nur eine Ahnung hätte, was eigentlich die kleine Frau zu einer so forcirten Heimkehr veranlaßt! Da könnte man sich doch ein bischen darauf einrichten. Aber so —. Es war schrecklich.

Er stützte die Ellenbogen auf die Kniee und paßte in verlegenem Spiel die Fingerspitzen aufeinander.

„Was ist's mit dem Strohwittwerthum?”

„Es ist nicht schön, Mariechen.”

Die junge Frau lachte auf, daß es dem Unglücklichen kalt über den Rücken fuhr.

„Also nicht schön! Und um es zu verschönen, mußtest Du — — —”

In ihrer unnatürlich erhobenen Stimme und um ihre Mundwinkel begann es verdächtig zu zucken, wie vor einem der Regenschauer, die ihm so schrecklich waren.

„Was mußte ich?” fragte er kleinlaut und ohne aufzublicken.

Frau Palitz betupfte heftig ihr rechtes, dann ihr linkes Auge und schließlich die leicht geröthete Spitze ihres Näschens mit ihrem Taschentuche, bewegte dann letzteres in kurzer energischer Abwehr und sagte wegwerfend:

„Ach, was soll ich mich mit einem so verstockten und heuchlerischen Menschen weiter abgeben! Ich gehe zu Mama. Noch heute! Vorher aber werde ich” — dabei erhob sie sich und machte den mißglückten Versuch, ihr zierliches Figürchen in eine dräuende Walkürenpose zu bringen — „vorher werde ich Dich in Deiner ganzen Schlechtigkeit entlarven, Du — Du — —”

„Aber so sage mir doch, Mariechen, was ist denn eigentlich geschehen!” flehte Palitz mit aufgehobenen Händen.

„Das — das fragst Du noch?!"” rief sie, als wenn sie sich vor entrüstetem Staunen nicht zu fassen wüßte. Dann trat sie dicht an ihn heran, so daß er sich vor ihren zornfunkelnden Augen erschrocken zurückbog.

„Du fragst?! Du, der Du die Nächte Dich auf Sommernachtsbällen herumtreibst — mit Sekt und ausgeschnittenen Frauenzimmern!!?”

Also das war's. John Palitz gewann Haltung. Jetzt, wo er wußte, worum es sich handelte, begann er Boden unter sich zu fühlen. Er ergriff die beiden Händchen, welche sich in bedenklicher Form und Absicht dicht vor seinen, von dem Kneifer doch nur oberflächlich geschützten Augen bewegten, und zog die heftig Widerstrebenden an seine Lippen.

„So nimm doch Vernunft an, Mariechen, Ich gebe ja zu, daß ich einmal — nein, es waren doch wohl zweimal, auf — so 'nem Dings war, aber — —”

„Aber!!?”

„Ich mußte!” Er lehnte sich entschlossen zurück, legte die Beine übereinander und wiederholte, jede Silbe mit energischem Kopfnicken pointirend, „ich mußte!”

Die kleine Frau war sprachlos ob dieser Frechheit. Mit offenem Mund und starren Augen ließ sie sich wieder in ihren Stuhl fallen.

„Ich bin Schriftsteller, nicht wahr?” fuhr er unbeirrt und mit verzweifelter Sicherheit fort. „Du weißt auch, daß ich an einem Roman ,Nachtlichter' arbeite — 'ne ganz moderne Sache. Du hast ja schon die ersten Kapitel gelesen. Also — ich brauchte für das siebente Kapitel gerade sowas — so 'n Milieu mit — — na ja — kurz, ich mußte!”

„Muß man dabei auch Sekt trinken und die bloßen Schultern seiner Modelle küssen?!” Unter dem schneidenden Hohn maskirte sich nur mühsam die Gefühlsexplosion der nächsten Minute.

Donnerwetter! So genau! Wo mochte sie es herhaben! Von wem! Doch darüber zu grübeln, war jetzt keine Zeit. Er mußte reden. Es ging um Hals und Kragen.

„Das muß man nicht. Keinenfalls. Aber wer sagt Dir, daß ich?”

„Ich weiß es und werde noch mehr feststellen. Alles!”

Sie stülpte den Hut auf, zerrte die Handschuhe an und sprach zwischendurch — ruckweise — kurzathmig:

„Deine Kollegen — Keßler und — Olpmann sind auch Schriftsteller. — Ich werde sie fragen. — Und Hellbrand ist sogar ein berühmter Schriftsteller — während Du —! — Pe! — Seine Frau — ist auch im Bade. — Der wird mir Auskunft geben über Dich. — Und dann Ohlsen vor allen Dingen! — Der hat Grundsätze! — Der wird mir alles sagen — und Dich entlarven helfen — Du — Du Scheusal!”

Bums fiel die Thür hinter ihr ins Schloß, und John Palitz saß mit gemischten oder richtiger ganz einheitlich nuancirten Gefühlen allein.

Ueber das Eine nur war er sich vollkommen klar: Wenn ihn Einer von der Gesellschaft bei seiner Frau hineinredete, so hatte dieser die längste Zeit gelebt. Nicht einmal die Todesart sollte der verrätherische Halunke sich auswählen dürfen. Er würde ihn erdrosseln; ihm die Luft abkneifen, centimeterweise, und ganz langsam, aber sicher!

*           *           *

„Herr Keßler zu sprechen?”

„Nee, Kindchen,” grieflachte ein Hausdiener, welcher im Vorflur an einem mit Puderflecken behafteten Smoking bürstete. „Hat er Dir bestellt?”

„Was unterstehen Sie sich?!”

„Pscht, nu mach' man keen Krach. Vormittag war schon Eene da, die hat jerade jenug Lärm gemacht, weil er ihr jestern Abend versetzt hatte.”

„Em-pörend —!!!”

*           *           *

„Augenblicklich nicht, gnädige Frau, aber Herr Olpmann kann jeden Augenblick kommen.”

„Kann ich ihn hier erwarten?”

„Aber bitte, treten Sie nur in das Arbeitszimmer. Er ist vor ein paar Minuten telephonisch abgerufen worden und hinterließ, daß er sofort zurückkehren werde.”

„Wie geht's Frau Olpmann im Bade?” fragte Frau Marie das um ihre Unterhaltung beflissene Dienstmädchen, nur um überhaupt 'was zu reden.

„O sehr gut. Die gnädige Frau schreibt täglich, und der Herr auch.”

„Glückliche Liesbeth!” seufzte Frau Palitz, als das Mädchen das Zimmer verlassen hatte. Sie ging erregt auf und nieder und sah wie von ungefähr auch auf den Schreibtisch. Ein angefangener Brief:

„Süße Olga, herzlicher kleiner Satan, ich war gest —”

*           *           *

„Ich muß Ihnen allerdings gestehen, gnädige Frau, daß Ihr Gatte —”

Der berühmte Hellbrand unterbrach sich, besah angelegentlich die Spitzen seiner wohlgepflegten Finger, um dann ganz plötzlich seinen Schreibtischsessel dicht an die junge Frau zu rollen und deren Hand mit seinen beiden heiß zu umfassen.

„Herr Hellbrand!”

„Leben heißt: Ausgleich schaffen, meine verehrte liebe Frau Palitz! Und wenn Sie das Leben so nehmen, wie es genommen werden muß — —”

In demselben Moment hatte der Dichter auf der linken Seite seines berühmten, tausendfach konterfeiten Antlitzes eine so geräuschvolle und energische Abwehr seiner Lebensphilosophie, daß er mit einem lauten Weheruf zurücktaumelte.

Frau Palitz hatte nun eigentlich genug von den Recherchen nach der Schlechtigkeit ihres Mannes, aber Ohlsen wollte sie doch noch aufsuchen, den Mann von Grundsätzen.

*           *           *

„Wirklich nicht?”

„Nein, gnädige Frau, wirklich nicht. Wenn Ihr Gatte das gethan haben sollte, was man Ihnen hinterbracht hat, so acceptiren Sie seine Erklärung und geben Sie sich zufrieden. Es ist nicht Jeder so reservirt und prinzipientreu wie ich, aber das rechne ich mir keineswegs zum Verdienst an, Das verdanke ich meiner lieben Frau, deren schrankenloses Vertrauen mich vor allem bewahrt. Ihr Gatte mag vielleicht ein bischen leicht sein, aber er kennt die ihm durch Ehre und Treue gezogenen Grenzen. Ich habe neulich noch mit ihm darüber gesprochen — und ich verbürge mich für ihn.”

„Wie ich Ihnen danke, Herr Ohlsen!”

„Aber gnädige Frau —”

„Nochmals Dank, und grüßen Sie herzlich Ihre Gattin.”

„Gern! — Empfehle mich sehr!”

Ohlsen und ein sehr niedliches Dienstmädchen waren ihr beim Anlegen des Mantels behilflich.

„Also adieu.”

„Adieu, gnädige Frau.”

*           *           *

„Ach Gott, mein Schirm!” Mit diesem Ausruf wandte sich die junge Frau in der Thür noch einmal um — — — und erstarrte zur Salzsäule.

Ohlsen hatte heimlich schäkernd den Arm um die Taille der Stütze seiner Hausfrau gelegt und ihr einen Kuß applizirt — flüchtig nur und leise, aber fest — viel fester als seine Grundsätze.

*           *           *

Frau Palitz saß eine halbe Stunde später auf den Knieen ihres glücklich lächelnden Gatten

Sie hatte beide Hände in seinem dichten Haarschopf vergraben und zauste darin.

„Ihr seid alle Scheusäler! — Aber — —

„Aber?”

„— Du bist immer noch das Kleinste . . . . . ”

Und sie küßte ihn.

— — —